Die Zwölf Artikel

 

Vorwort

Die gründlich bedachten Artikel aller Bauernschaft und Abhängigen [Hintersassen] der geistlichen und weltlichen Obrigkeit, worüber sie sich beschweren möchten. Dem christlichen Leser Friede und Gottes Gnade durch Christus.

Es gibt viele Gegner des christlichen Glaubens, die anlässlich der versammelten Bauern das Evangelium schlecht machen. Sie sagen, dass es die Früchte des neuen Evangeliums seien, niemandem gehorsam zu sein, sich zu erheben und bereit zu sein, die geistliche und die weltliche Obrigkeit vielleicht sogar zu erschlagen. All diesen gottlosen Kritikern geben die folgenden Artikel Antwort: Dabei geht es darum, die Rufschädigung des Wortes Gottes aufzuheben, und dann auch den Ungehorsam, ja die „Empörung“* aller Bauern christlich zu rechtfertigen.

Das Evangelium ist nicht die Ursache für die Empörung. Denn die Rede ist von Christus dem verheißenen Messias, dessen Botschaft und Leben nichts als Liebe, Friedfertigkeit, Geduld und Einigkeit lehrt. Alle, die an diesen Christus glauben, sollen sich an der Liebe orientieren, lernen friedlich, geduldig und einig zu sein. 

Dementsprechend ist die Grundlage der Artikel der Bauern, dass sie das Evangelium hören und dem Evangelium gemäß leben wollen.

Daraus folgt dann zum zweiten, dass die Bauern in ihren Artikeln das Evangelium zur Lehre und für ihr Leben haben wollen und nicht ungehorsam und aufrührerisch genannt werden wollen. 

Wenn Gott aber die Bauern, die ängstlich danach rufen, nach seinem Wort leben zu dürfen, erhören will, wer will den Willen Gottes kritisieren? Wer will in sein Gericht eingreifen? Ja, wer will sich seiner Majestät widersetzen?
Wenn Gott schon das Schreien der Israeliten gehört hat und sie aus der Hand des Pharaos gerettet hat, kann er dann nicht auch heute die Seinen retten? Ja, er wird sie erretten! Und das bald. Deshalb, christlicher Leser, lies die folgenden Artikel aufmerksam und urteile danach.

1. Artikel                                                             

Als erstes ist es unsere demütige Bitte und auch unserer Überzeugung, dass die ganze Gemeinde Macht und Gewalt hat, einen Pfarrer selbst auszuwählen und einzusetzen. Und ihn auch wieder absetzen kann, wenn er sich nicht entsprechend verhält.

Der gewählte Pfarrer soll uns das Evangelium lauter und klar predigen, ohne menschliche Zusätze, Lehren und Gebote. Er soll uns den wahren Glauben verkündigen, denn das bringt uns dazu, diesen Glauben in uns durch Gottes Gnade wachsen zu lassen.

Wenn Gottes Gnade nicht in uns wirkt, bleiben wir ganz menschlich und somit unzulänglich, das ist dann nichts nütze. In der Schrift steht klar: nur durch den wahren Glauben können wir zu Gott kommen und allein durch seine Barmherzigkeit selig werden. Darum ist uns ein solcher Pfarrer als Wegführer wichtig. Das steht schon so in der Bibel.

2. Artikel                                                         

Zweitens: Die Zehntabgabe ist im Alten Testament eingesetzt worden und gilt im Neuen Testament als erfüllt. Trotzdem wollen wir den Kornzehnt gerne geben. Aber so wie es ursprünglich gedacht war: Denn man soll den Zehnten Gott geben und mit den Seinen teilen.

Auch steht dieser Zehnte einem Pfarrer, der das Wort Gottes klar verkündet, zu. Ein von der Gemeinde ausgewählter Verantwortlicher soll den Zehnten einsammeln. Davon steht einem Pfarrer, der von der ganzen Gemeinde gewählt wurden, seinen ausreichenden/r Lebensunterhalt zu [seyn zymlich gnugsam aufenthalt geben], ihm und den Seinen. Und was übrigbleibt, soll man den Armen und Bedürftigen, die im Dorf leben, geben - nach der Einschätzung der Gemeinde. Was weiterhin übrig bleibt, soll man behalten im Falle einer Bedrohung, Kriegsdienst leisten zu müssen, damit die Armen nicht durch Steuern dafür aufkommen müssen

Wenn ein oder mehrere Dörfer aus Not ihre Zehntabgaben aber [bereits] an jemanden verkauft haben,

so soll der nicht darauf verzichten müssen, sondern wir wollen mit ihm einen Vergleich finden; wir wollen diese Zahlung in angemessener Höhe und Zeit ablösen. Sollten sich die Vorfahren selbst den Zehnt eines Dorfes angeeignet haben, so hat dieses Dorf keine Verpflichtungen mehr [dieser heutigen Herrschaft gegenüber].….

Den kleinen Zehnt wollen wir nicht mehr zahlen; denn Gott der Herr hat das Vieh frei für alle geschaffen. Der kleine Zehnt ist also nur von Menschen erfunden worden und deshalb wollen wir ihn nicht zahlen.

3. Artikel                                                                  

Zum Dritten hat man uns bisher für „Unfreie“[Eigenleute*] gehalten. Welches doch unvertretbar ist, da Christus uns alle, vom Hirten bis zum Höchsten ohne Ausnahme mit seinem kostbaren Blut erlöst und freigekauft hat. Damit ergibt sich aus der Heiligen Schrift, dass wir frei sind. Und wir wollen auch frei sein. Das bedeutet nicht, dass wir total frei sein wollen, ohne Obrigkeit; denn das lehrt Gott nicht.

Wir sollen unter den Geboten leben und nicht nach eigensinnigem Mutwillen. Wir sollen Gott lieben und ihn als unseren Herrn in unserem Nächsten erkennen. Und wir sollen das tun, was wir auch gerne uns gegenüber getan haben möchten. Das hat uns Gott beim letzten Abendmahl geboten. Darum sollen wir nach seinem Gebot leben.

Weist uns dieses Gebot an, der Obrigkeit nicht gehorsam zu sein? Nicht allein der Obrigkeit, sondern wir sollen uns gegen jedermann demütig verhalten, so dass wir auch gegenüber unserer gewählten und (von Gott) eingesetzten Obrigkeit in allen angemessenen und christlich vertretbaren Sachen gern gehorsam sind. Wir haben keine Zweifel, dass ihr als wahre und aufrechte Christen uns gerne aus der [Leib] Eigenschaft entlassen werdet, oder uns aus dem Evangelium heraus beweisen werdet, dass wir leibeigen seien sollen.

4. Artikel

Viertens war es bisher so, dass kein armer Mann Wild, Geflügel oder Fische im fließenden Wasser fangen durfte. Das erscheint uns völlig unangemessen und unsolidarisch, ja eigennützig und dem Wort Gottes nicht gemäß. Die Herren lassen das Wild an etlichen Orten mutwillig auf unseren Felder das, was Gott dem Menschen zu Nutz wachsen ließ, zu unserem Schaden abfressen und verwüsten. Und dann erwarten sie noch, dass wir das schweigend ertragen. Das ist gegen Gott und den Nächsten. Als Gott die Tiere für die Menschen schuf, gab er ihm die Verfügung über alle Tiere, über die Vögel in der Luft und die Fische im Wasser.

Darum ist es unser Anliegen: Wenn einer nachweisen kann, dass er dieses Recht gekauft hat, wollen wir es ihm nicht mit Gewalt nehmen. Sondern man muss ein christliches Einsehen haben, getragen von der brüderlichen Liebe. Aber wer den Nachweis nicht führen kann, soll das der Gemeinde entsprechend mitteilen [und ihr damit ihr Recht wieder überlassen].

5. Artikel

Als Fünftes haben wir Probleme mit der Holznutzung, denn unsere Herrschaften beanspruchen die Holzernte allein für sich. Wir müssen dann bei ihnen zu einem überteuerten Preis kaufen.

Unsere Forderung: Wenn kein rechtlich gesicherter Vertrag (bei geistlicher oder weltlicher Herrschaft) vorliegt, soll der Wald an die ganze Gemeinde zurückfallen. Der Gemeinde soll es in angemessener Weise möglich sein, jedem einzelnen zu erlauben, Holz für seinen eigenen Bedarf umsonst zu holen und auch für Zimmererarbeiten sich unentgeltlich zu versorgen – das soll mit Wissen der von der Gemeinde gewählten Aufsicht über Holz und Wald geschehen.

Wenn kein Holz vorhanden ist, soll man sich mit den Besitzern, die dies redlich gekauft haben, christlich und brüderlich einigen. Wenn der Wald aber anfangs ihnen selbst gehörte und verkauft wurde, soll man eine rechtlich passende Lösung mit den derzeitigen Besitzern in brüderlicher Liebe und gemäß der Heiligen Schrift suchen.

6. Artikel

Zum Sechsten beschweren wir uns ausdrücklich darüber, dass die Dienste, die uns auferlegt sind, täglich mehr werden. Wir fordern, dass man ein Einsehen hat und uns nicht so sehr belastet, sondern die Dienste auf das Maß, wie es bei unseren Eltern war, zurückfährt, - allein nach dem Wort Gottes.

7. Artikel

Zum Siebten wollen wir, dass die Herrschaft uns nicht weiter belastet, sondern sich an die Vereinbarung zwischen Herren und Bauern hält, zu der das Gut verliehen wurde. Der Herr soll nicht mehr Druck aufbauen und weitere unbezahlte Dienste verlangen, damit der Bauer sein Gut unbeschwert nutzen kann. Wenn der Herr einen Dienst nötig braucht, sollte der Bauer dem nachkommen, aber zu einer Zeit, wenn es nicht zum Nachteil des Bauern ist und (auch) gegen angemessene Bezahlung.

8. Artikel

Zum Achten ist es für uns ein großes Problem – und viele sind davon betroffen – dass die Güter die Abgaben [Gült] nicht in der geforderten Höhe erbringen können. Deshalb verlieren die Bauern ihre Lebensgrundlagen und gehen zugrunde. Wir wollen, dass die Herrschaft durch ehrbare Leute die Abgaben neu einschätzen und die Abgabenhöhe bemessen lässt, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tut. Denn ein jeglicher ist seines Lohnes würdig.

9. Artikel

Zum Neunten ist es für uns ein großes Problem, dass man für die Verbrechen stets neue Gesetze macht und uns nicht nach Sachlage, sondern nach Gunst straft. Unsere Forderung ist es, dass die bisherigen Strafen so beibehalten werden, wie sie schriftlich festgehalten wurden und nicht nach Gunst.

10. Artikel

Zum Zehnten beschweren wir uns darüber, dass Äcker, die einer Gemeinde gehören, anderen Leuten zugewiesen sind. Diese Äcker werden wir wieder an uns nehmen zu unserem gemeinsamen Nutzen. Es sei denn jemand hat diese Äcker redlich gekauft. Wenn sie aber unrechtmäßig erworben wurden, soll man sich gütlich und brüderlich sachgemäß einigen.

11. Artikel

Zum Elften wollen wir, dass der Brauch genannt Todfall ganz und gar abgeschafft wird.

Es ist nicht auszuhalten, dass Witwen und Waisen gegen Gott und die Ehre schändlich beraubt werden, wie es oft geschieht.

Von denen, die sie beschirmen und beschützen sollen, werden sie geschunden und, wenn sie die Möglichkeit hätten, hätten sie ihnen alles genommen. Das will Gott nicht! Kein Mensch soll zukünftig schuldig sein zu geben, weder wenig noch viel.

12. Artikel

Zwölftens ist es schlussendlich unsere Meinung, dass wir von den hier aufgestellten Artikeln, die uns auf der Basis der Heiligen Schrift als nicht christlich begründbar gezeigt werden, Abstand nehmen.

Auch wenn man uns jetzt Artikel zugestehen würde und sie sich dann als unrecht erwiesen, sollen sie sofort nicht mehr gelten. Ebenso wollen wir uns vorbehalten und schon jetzt beschlossen haben, dass, wir weitere Artikel fordern, wenn sich in der Heiligen Schrift mehr findet, was gegen Gottes Willen und zur Beschwernis des Nächsten ist. Wir wollen uns in der christlichen Lehre üben und sie anwenden.

Darum bitten wir Gott, der uns allein das geben kann und sonst niemand.

Der Friede Christi sei mit uns allen.

 

© Claus Ortmann / Gudrun Nebas